Verkehrswende in Deutschland: Interview mit Katja Diehl
Für unsere Interviewreihe zum Thema Verkehrswende haben wir mit vielen Experten aus den Bereichen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft gesprochen. In diesem Interview haben wir der Zukunftsakivistin Katja Diehl gesprochen.
Frau Diehl, was sind aus Ihrer Sicht die Hindernisse, eine nachhaltige Verkehrswende herbeizuführen?
Ich glaube es mangelt an Diversität, Mut, Fantasie und Kreativität. Und zu jedem dieser Punkte kann ich gern etwas ausführen. Die Mobilitätsbranche hat weniger Frauen in Führung als die katholische Kirche, da ist also schon in Sachen Gleichberechtigung noch jede Menge Aufholbedarf. Es mangelt aber auch an Diversität im Sinne von unterschiedlichen Altersgruppen, Mobilitätseingeschränkte, Einkommen etc. in der Gruppe Jener, die unsere Mobilität gestalten. Mut braucht es vor allem beim ersten Schritt. Und vor diesem schrecken wir zurück. Anstatt zu sagen: Wir machen das jetzt mit der klimafreundlichen und inklusiven Mobilität, wir gehen los und schauen, wohin der Weg uns in der Gestaltung führt, hadern wir, weil wir uns nicht 100 % sicher sind, ob auch alles bedacht wurde. Fantasie braucht es, um sich zum Beispiel eine kinderfreundliche Stadt vorzustellen. Diese hat kaum noch geparkte Autos und kann ihren Raum wieder an die Menschen geben. Wie schön ist diese Vision! Doch wir trauen uns nicht, diesen zu träumen, weil wir nicht die Kraft haben, uns die Stadt leise, sauber, weit und grün vorzustellen – weil wir uns so sehr an die Autos gewöhnt haben. Kreativität heißt, auf dem Weg zur neuen Mobilität immer wieder anders zu denken, andere Partner:innen und Lösungen zu sehen und neue Bündnisse einzugehen – im Sinne aller.
Der Anteil des Fahrrads am Verkehrsaufkommen in Deutschland soll steigen. Zurzeit werden in Deutschland rund 11 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad erledigt. Länder wie Dänemark (18 Prozent) und die Niederlande (27 Prozent) zeigen, dass hier noch Potenzial nach oben besteht. Welche konkreten Handlungsempfehlungen erachten Sie als sinnvoll?
Umwidmung von Räumen. Dort, wo in der Stadt mehrere Spuren existieren, entweder die Parkspur wegnehmen und zur Multifunktionsspur machen (alles, außer Auto) oder eine Fahrspur umwidmen und dem Auto wegnehmen. Auch Tempolimits in Städten halte ich für sinnvoll, um wieder mehr Augenhöhe und damit Sicherheit zwischen den Verkehrsteilnehmer:innen zu schaffen. Der Überholabstand von 1,50 Meter ist einzuhalten und, wo nicht möglich, gilt für PKW-Überholverbot. Letztlich glaube ich aber auch, dass es schlicht mehr Kontrollen von Falschparker:innen etc. benötigt, damit diese Regeln auch Durchsetzung erfahren.
Gibt es in Bezug auf das Fahrrad schon Ansätze oder Beispiele in Deutschland, die Sie als besonders zielführend bezeichnen würden?
Die Pop-Up-Bikelanes in Berlin waren ein gutes Beispiel, wie der langsame Wandel beschleunigt wurde. Durch die Pandemie war es wichtig, die schwächeren Verkehrsteilnehmer:innen zu schützen. So wurde, statt umfänglicher Umbauten, der gefasste Plan des Mobilitätsgesetzes in Berlin an dieser Stelle sehr hemdsärmelig umgesetzt. Und auf einmal fuhren sogar kleine Kinder mitten in Berlin mit dem Rad! Gleiches gilt für Verkehrsversuche wie dem autofreien Jungfernstieg in Hamburg und der autofreien Friedrichstraße in Berlin – eine völlig neue Aufenthaltsqualität und ein Miteinander, nicht Gegeneinander. Paris und andere Städte gehen SO selbstbewusst voran, von diesem Mut wünsche ich unseren Bürgermeister:innen auch ein Stück.
Welches Fahrrad fahren Sie und wofür nutzen Sie es hauptsächlich?
Ich war kurz davor, mir ein elektrisch unterstütztes Brompton für die Kombination mit der Bahn anzuschaffen. Dieser Plan ist durch Corona erstmal ausgesetzt. Aber nur aufgeschoben. Ich hoffe, dass ich mit meiner BahnCard100 bald wieder sehr flexible reisen und dann das Rad als Verlängerung meiner Mobilität nutzen kann. Privat wurde mir ein teures, von mir selbst zusammengestelltes Fahrrad in Hamburg direkt am Tag eines Umzugs geklaut, so dass ich aktuell ein sehr simples Singlespeed fahre, das sehr auffällig lackiert ist und im Stadtverkehr einfach riesig Freude macht. Auch das wurde mir schon zweimal geklaut, weil es aber so auffällig ist, kam es zu mir zurück 🙂
Vielen Dank für das Gespräch.
Zum Überblicksartikel 'Die Verkehrswende in Deutschland'Matthias
Schon als Kind im flachen Ostfriesland war das Rad das Fortbewegungsmittel Nr. 1.
Mittlerweile hat es ihn ins Rheinland in den Großstadtdschungel Düsseldorf verschlagen, aber auch hier hat sich eines nicht geändert: Das Bike ist immer dabei. Neben den alltäglichen Touren fährt er regelmäßig mit dem Rennrad in den niederrheinischen Weiten.