Verkehrswende in Deutschland: Interview mit Herbert Engelmohr vom AvD
Für unsere Interviewreihe zum Thema Verkehrswende haben wir mit vielen Experten aus den Bereichen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft gesprochen. In diesem Interview freuen wir uns über die Perspektive aus der automobilen Sicht. Als Gesprächspartner konnten wir Herbert Engelmohr gewinnen, den Sprecher des Automobilclubs von Deutschland (AvD).
Herr Engelmohr, was sind aus Ihrer Sicht die Hindernisse, eine nachhaltige Verkehrswende herbeizuführen?
Aus der Sicht eines traditionsreichen Clubs wie dem Automobilclub von Deutschland (AvD) ist es wenig sinnvoll, die künftige Mobilität lediglich an einer Fahrzeugkategorie fest zu machen. Wer darüber nachdenkt und Veränderungen in den Blick nimmt, die die Verpflichtung zu den Klimaschutzzielen der EU mit sich bringen, sollte den Rang der individuellen Mobilität in den verschiedenen Formen insgesamt berücksichtigen. Man darf dabei die Bedeutung des Autos für viele Menschen nicht kleinreden. Selbst in diesen Pandemie-Zeiten steigen die Zulassungszahlen für Pkw: Von Ende 2019 auf Ende 2020 erhöhte sich der Bestand von rund 47,09 Millionen auf ca. 47,7 Millionen (Quelle: Destatis). Auch in den Städten steigt die Zahl der registrierten Kraftfahrzeuge weiter. Autos sind immer noch das mit Abstand meistgenutzte Verkehrsmittel in Deutschland. Neben dem praktischen Nutzen ist das Auto Synonym für Lebensqualität, für Unabhängigkeit, für Flexibilität und letztlich für die persönliche Freiheit.
Das bedingt auch, dass die für den Klimaschutz entscheidende Entwicklung und Markteinführung klimaneutraler E-Fuels, Kraftfahrzeuge mit Elektro- oder Wasserstoff-Antrieb stärker vorangetrieben werden muss. Die aktuell diskutierten Ansätze bleiben hinter den Möglichkeiten dieser Technologien zu den nötigen Treibhausgaseinsparungen bis 2030 zurück. Allein durch eine stärkere Einbeziehung erneuerbarer Kraftstoffe kann die Bestandsflotte einen substantiellen Beitrag zum Klimaschutz liefern.
Aber natürlich besteht Mobilität, wie sie in den nächsten Jahren gebraucht wird, nicht ausschließlich aus dem Auto und seiner Nutzung. Die verschiedenen Formen von individuellen und kollektiven Verkehren nehmen in ihrer Bedeutung zu. Gerade in Ballungsräumen und Städten haben der öffentliche Personen(nah-)verkehr ebenso wie alle Formen der individuellen Fortbewegung wie Auto und Fahrrad einen festen Platz und sind von strategischer Relevanz. Der AvD sieht Bedarf für Gesamtkonzepte, die auf die Verkehrssituationen der jeweiligen Städte und Regionen abgestimmt sind. Diese Pläne müssen individuelle und öffentliche Verkehre miteinander verzahnen. Ebenso müssen die Bedürfnisse der Wirtschaftsverkehre und von Pendlern berücksichtigt werden. Die betroffenen oder interessierten Personengruppen sind dabei intensiver in die Planungsprozesse einzubeziehen und die Zeiträume der Umsetzung von Vorhaben zu verkürzen.
Der Anteil des Fahrrads am Verkehrsaufkommen in Deutschland soll steigen. Zurzeit werden in Deutschland rund 11 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad erledigt. Länder wie Dänemark (18 Prozent) und die Niederlande (27 Prozent) zeigen, dass hier noch Potenzial nach oben besteht. Welche konkreten Handlungsempfehlungen erachten Sie als sinnvoll?
Der Stellenwert des Fahrrades im Bereich der Nahmobilität, im städtischen Umfeld und beim Pendlerverkehr nimmt auch in Deutschland zu. Das Bewusstsein für die Bedeutung des Radverkehrs hat sich in den letzten Jahren in der allgemeinen Diskussion erhöht. Neben dem Aspekt des Klimaschutzes spielt eine Rolle, dass das Fahrrad ein günstiges Verkehrsmittel ist und der Gesundheit des Nutzers dient. Der AvD ist der Überzeugung, dass das Fahrrad ein – zunehmend wichtigerer – Baustein eines Verkehrssystems ist, das man aber als Ganzes betrachten muss. Der Ansatz ist, nicht auf das einzelne Verkehrsmittel zu schauen, sondern dafür zu sorgen, dass man die Wahl hat, mit dem für den einzelnen Verkehrsteilnehmer optimalen Mix und zu den geringstmöglichen Kosten an sein Ziel zu kommen. Der AvD versteht sich dabei als Mobilitätsdienstleister für seine Mitglieder. Digitale Vernetzung über schon jetzt einsatzbereite Lösungen wie beispielsweise Apps, die alle verfügbaren Mobilitätsdienstleistungen, von der Routenplanung für das eigene Fahrrad oder Auto, über Leihfahrrad oder Car-/Ridesharing, Mietwagen und Taxi bis zu ÖPNV zusammenführen, werden künftig vermehrt eingesetzt und in den Alltag eines jeden Verkehrsteilnehmer integriert.
Eine intakte Infrastruktur ist nach Überzeugung des AvD der Schlüssel für die individuellen und kollektiven Verkehre, ob mit dem Fahrrad oder mit Pkw, Lieferwagen und Lkw über Busse bis zu Schienenfahrzeugen. Dazu muss man kontinuierlich erhebliche Mittel zur Verfügung stellen, die zur Ertüchtigung der Infrastrukturen eingesetzt werden müssen. Die Investitionsanstrengungen, die dafür für notwendig sind, müssen beständig fließen und auf hohem Niveau bereitstehen. Das aktuelle Finanzhilfe-Sonderprogramm des Verkehrsministeriums „Stadt und Land“ mit über 650 Millionen Euro sowie 900 Millionen aus dem Klimaschutzprogramm alleine für den Radverkehr sind dabei ein deutliches Zeichen. Für Radinfrastrukturprojekte können Länder und Kommunen jetzt direkt Gelder beantragen. Zu erwähnen ist zudem, dass in den nächsten Jahren mehr Mittel im Verkehrshaushalt des Bundes für den Verkehr insgesamt vorgesehen sind.
Gibt es in Bezug auf das Fahrrad schon Ansätze oder Beispiele in Deutschland, die Sie als besonders zielführend bezeichnen würden?
Genannt werden kann zum Beispiel die Förderung von Radschnellwegen, die dem Pendlerverkehr dienen und ermuntern sollen, auch längere Strecken mit dem Fahrrad zurückzulegen. Damit korrespondiert der zunehmende Verkauf von Pedelecs und E-Bikes. Sie werden immer beliebter, weil durch die Motorunterstützung mit überschaubarer Kraftanstrengung auch längere Strecken – mit Steigungen – zurückgelegt werden können.
Generell sollten Radwege, Wegeführungen und Aufstellflächen und andere dem Radverkehr dienenden Maßnahmen der Verkehrsinfrastruktur aus einem stimmigen Konzept heraus unter Einbeziehung von Betroffenen und Interessierten vor der Umsetzung geplant werden. Erfahrungen zeigen, dass dann nicht nur die Akzeptanz höher ist, sondern auch die Umsetzungsgeschwindigkeit steigt. Der AvD spricht sich schon lange dafür aus, die für Verkehrsinfrastruktur zuständigen Behörden personell besser auszustatten.
Welches Fahrrad fahren Sie und wofür nutzen Sie es hauptsächlich?
Am häufigsten ein als Stadtrad ausgestattetes Hardtail-MTB mit fest installierter Beleuchtung, Schutzblechen und Gepäckträger für den täglichen Weg ins Büro und sonstige Fahrten. Daneben ein Panther“-Stadtrad mit Nuvinci-Nabe und selten ein „Enik“-Rad aus den 1970er-Jahren im Originalzustand mit Stahlrahmen und Torpedo-Fünfgangnabe.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zum Überblicksartikel 'Die Verkehrswende in Deutschland'Matthias
Schon als Kind im flachen Ostfriesland war das Rad das Fortbewegungsmittel Nr. 1.
Mittlerweile hat es ihn ins Rheinland in den Großstadtdschungel Düsseldorf verschlagen, aber auch hier hat sich eines nicht geändert: Das Bike ist immer dabei. Neben den alltäglichen Touren fährt er regelmäßig mit dem Rennrad in den niederrheinischen Weiten.