Verkehrswende in Deutschland: Interview mit Annika Meenken vom VCD
Für unsere Interviewreihe zum Thema Verkehrswende haben wir mit vielen Experten aus den Bereichen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft gesprochen. In diesem Interview haben wir mit Anika Meenken gesprochen. Sie ist Sprecherin des Verkehrsclubs Deutschland (VCD).
Frau Meenken, was sind aus Ihrer Sicht die Hindernisse, eine nachhaltige Verkehrswende herbeizuführen?
Eine nachhaltige Verkehrswende kann nur gelingen, wenn alle Verkehrsmittel zusammen betrachtet werden (Fuß und Rad, öffentlicher Verkehr, Auto und Motorrad sowie Sharing-Angebote). Hindernisse stellen insbesondere folgende Faktoren dar: Es gibt veraltete Straßenverkehrsgesetze, die dem Auto gegenüber anderen Verkehrsmitteln Priorität einräumen sowie die konservative Auslegung dieser Gesetze in der Praxis. Außerdem herrscht wenig politischer Wille auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, eher unpopuläre aber dringend notwendige (Push-) Maßnahmen umzusetzen, die den Autoverkehr betreffen – etwa höhere Strafen bei zu schnellem Fahren, für Falschparker oder höhere Gebühren für Anwohnerparken. Es sind starke Vorbehalte gegen Tempolimits vorhanden, z.B. die Einführung von Tempo 30 als Basisgeschwindigkeit innerorts. Zudem gibt es sowohl fehlende finanzielle und personelle Ressourcen in Verwaltung, Planung, Bildung und Planung als auch fehlende, marode oder schlechte Infrastruktur; speziell ein fehlendes Radverkehrsnetz, das alle Menschen, von Kindern bis hin zu Älteren, sicher und gerne radeln lässt. Außerdem fehlende sichere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder (beispielsweise an Bahnstationen).
Die Maßnahmen sind unabdingbar, wenn wir lebenswerte Städte und Dörfer schaffen wollen. Sie verbessern die Lebensqualität, indem sie Lärmemissionen und Luftschadstoffe verringern und schaffen im öffentlichen Raum mehr Platz für Menschen anstatt für Autos.
Der Anteil des Fahrrads am Verkehrsaufkommen in Deutschland soll steigen. Zurzeit werden in Deutschland rund 11 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad erledigt. Länder wie Dänemark (18 Prozent) und die Niederlande (27 Prozent) zeigen, dass hier noch Potenzial nach oben besteht. Welche konkreten Handlungsempfehlungen erachten Sie als sinnvoll?
Der Fokus der Stadt- und Verkehrsplanung muss stärker auf das Fahrrad ausgerichtet werden. Dazu zählen ein sicheres und attraktives Radverkehrsnetz wie beispielsweise das überregionale Radnetz in Dänemark, wo Pendelnde mit dem Rad komfortabel entlang der Bahntrassen bis nach Kopenhagen fahren können. Darüber hinaus braucht es gut befahrbare, breite Radwege entlang von Land- und Bundesstraßen, Radschnellwege, Abstellmöglichkeiten etc. sowie eine fehlerverzeihende Infrastruktur, damit auch Kinder eigenständig und sicher unterwegs sein können.
Wichtig ist konsequent Tempo 30 als Basisgeschwindigkeit innerorts einzurichten und nachhaltige Mobilitätsbildung konsequent für alle Altersgruppen einzuführen, dazu gehört auch ein stärkerer Fokus auf den Radverkehr im Rahmen der Fahrschulausbildung und bundesweiter Kampagnen. Es braucht Förderprogramme für private und geschäftliche Radnutzung z.B. Subventionierung des Radverkehrs durch Dienstradleasing.
Des Weiteren muss die Multimodalität vorangetrieben werden, also die Nutzung und Kombination verschiedener Verkehrsmittel wie ÖPNV und (Leih-)Fahrrad oder der Zugang zu E-Scootern und Carsharing ermöglichet und vereinfacht werden. Am Ende wird das Privileg des Autos im Straßenverkehr aufgehoben, d.h. sowohl die staatliche Subventionierung in Form der Entfernungspauschale als auch Dienstwagenprivilegien. Natürlich müssen bestehende Planungen auf Klima- und Umweltschutzziele überprüft und angepasst werden.
Gibt es in Bezug auf das Fahrrad schon Ansätze oder Beispiele in Deutschland, die Sie als besonders zielführend bezeichnen würden?
Es gibt verschiedene Beispiele, die man da nennen kann. So zum Beispiel den Ausbau des Radnetzes durch Fahrradstraßen und Fahrradzonen wie in Bremen. Fahrradstraßen dürfen dabei jedoch nicht weiterhin für das Auto offen bleiben, wie z.B. durch das Anbringen von „Ausnahme“-Schildern. Bei flächendeckend Tempo 30 innerhalb von Ortschaften können sich Fußgänger und Radfahrer besser Verkehrsflächen mit dem Auto teilen. In Dinslaken hat sich die Verkehrssicherheit gerade für ungeschützte Verkehrsteilnehmer enorm erhöht: Bei Tempo 30 bzw. Tempo 40 konnten die Unfallzahlen mit Toten und Schwerverletzten um 36 % reduziert werden.
Ich möchte da noch Bildungsprojekte wie die VCD-Jugendkampagne „FahrRad! Fürs Klima auf Tour“ nennen, die jährlich Tausende von Jugendlichen für das Radfahren begeistert. Zu nennen ist noch das Einrichten von sicheren und gut erreichbaren Radabstellanlagen, die auch für Lastenräder geeignet sind, wie das prämierte Fahrradparkhaus in Karlsruhe. Positiv sind auch die Radschnellwege für Verbindungen zwischen Kommunen (teils in Planung oder Bau, teils bereits fertig) wie beispielsweise in Baden-Württemberg, Göttingen, oder der Radschnellweg Ruhr.
Welches Fahrrad fahren Sie und wofür nutzen Sie es hauptsächlich?
Ein mittlerweile zehn Jahre altes Trekking-Rad, das ich für alle Wege nutze: für den Weg zur Arbeit, zum Einkaufen in Kombination mit einem Anhänger oder mit Fahrradtaschen und in der Freizeit. Ich lebe seit über 20 Jahren glücklich autofrei.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zum Überblicksartikel 'Die Verkehrswende in Deutschland'Matthias
Schon als Kind im flachen Ostfriesland war das Rad das Fortbewegungsmittel Nr. 1.
Mittlerweile hat es ihn ins Rheinland in den Großstadtdschungel Düsseldorf verschlagen, aber auch hier hat sich eines nicht geändert: Das Bike ist immer dabei. Neben den alltäglichen Touren fährt er regelmäßig mit dem Rennrad in den niederrheinischen Weiten.